Scholten-Mühle Rees

Ventikanten

Die Scholten-Mühle ist weltweit eine der letzten erhaltenen Mühlen mit Ventikanten-Drehheck-Flügeln. Ventikanten (vom lateinischen Wort „Ventus“ für Wind) sind eine Entwicklung des Majors Kurt Bilau (1872-1941). Der gelernte Ingenieur diente als Berufssoldat im Kaiserlichen Heer und zog in den Ersten Weltkrieg. Die aus der Landschaft herausragenden Windmühlen waren damals wichtig für die Artillerie, da sie als Fixpunkte beim Anvisieren ferner Ziele genutzt wurden. Bilau bemerkte schon um 1900 ein fortschreitendes Windmühlensterben, weil moderne Dampf-, Motor- und Elektromühlen zu einer übermächtigen Konkurrenz wurden. 

Aufgrund einer Kriegsverletzung wurde Bilau 1918 als Major ehrenhaft aus dem Militärdienst entlassen. Fortan kannte er nur noch ein Ziel: Er wollte die Mühlentechnik modernisieren und konkurrenzfähig machen. Dabei nutzte er vor allem seine Kenntnisse der Aerodynamik, die er als Außenballistiker bei der Artillerie erworben hatte. Entgegen vieler Vermutungen war Bilau nie bei der Luftwaffe und auch kein „Fliegermajor“, auch wenn die Ventikanten wie Flugzeugtragflächen aussehen.

Die Ventikanten ermöglichen wegen ihrer besonderen Aerodynamik die doppelte bis dreifache Windenergieausnutzung im Vergleich zu Gatterflügeln mit Segeltuchbespannung. Nach dem erfolgreichen Testbetrieb in Sachsen schloss Major Bilau 1931 einen Exklusivvertrag mit der Mühlenbauanstalt
Karl Kühl in Pommern. Zur Jahresschau des Nahrungsmittelhandwerks wurde 1936 eine mit Ventikanten bestückte Holzwindmühle auf dem Berliner Messegelände direkt neben dem Funkturm aufgebaut. Hier war die Mühle 1937 auch Teil von Adolf Hitlers Propaganda-Schau „Gebt mir vier Jahre Zeit“. Als Vorzeigeobjekt „deutscher Wertarbeit“ förderte das Deutsche Reich bis 1940 die Installation der Bilau’schen Flügel durch Kredite für die Müller.

Der Landschaftsverband Rheinland setzte sich ab 1935 für die Rettung der Windmühlen am Niederrhein ein. Davon profitierte auch die Scholten-Mühle, die Ende der 1930er Jahre mit vier Ventikanten von je elf Metern Länge ausgestattet wurde. Die Freude währte nur kurz: Im April 1939 wehte ein Sturm das komplette Flügelkreuz zu Boden und beschädigte es. Die kostspielige Renovierung war kaum abgeschlossen, da riss im Januar 1940 der nächste Sturm das Flügelkreuz aus der Verankerung. Die Versicherung zahlte zwar den Schaden von 5272 Reichsmark, doch die Behörden leiteten eine Untersuchung ein und forderten vom Hersteller Karl Kühl strengere Sicherheitsmaßnahmen. Daher wurden die Mühlenflügel im Frühjahr 1941 von elf Metern auf 9,50 Meter gekürzt, wodurch sich auch das Gewicht reduzierte. 

Diesmal hielten die Ventikanten bis 1997, als sie im Rahmen der umfassenden Mühlenrenovierung demontiert und durch neue Ventikanten ersetzt wurden. 

Nordrhein-Westfalen ist heute die Hochburg der Ventikanten: Neben der Scholten-Mühle in Rees gibt es in der Region noch die vergleichbaren Windmühlen in Kleve-Donsbrüggen, Pulheim-Stommeln und Gangelt-Breberen. In den Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie in der niederländischen Provinz Drenthe findet man nur noch je ein Exemplar der einst über 150 Mühlen mit Bilau'schen Ventikanten.