Scholten-Mühle Rees

Die Mühle im Zweiten Weltkrieg

Im März 1945, wenige Wochen vor Kriegsende, nahmen die alliierten Truppen die Rheinstadt Rees tagelang unter Beschuss. Linksrheinisch stand Flak an Flak, die Scholten-Mühle diente als Anhaltspunkt auf der rechten Rheinseite. „Weil sie in der Ebene weithin sichtbar war, ließen sich mit ihrer Hilfe alle Orte bestimmen, in denen Kriegsgerät der deutschen Wehrmacht vermutet wurde“, sagt der Mühlenexperte Paul Wissing.

Die Mühle selbst bestand die Angriffe ohne irreparable Schäden – obwohl leichte Artillerie das dicke Mauerwerk 42 mal traf und später im Umfeld der Mühle 800 Einschüsse und Bombentreffer gezählt wurden. „Als die Flugzeuge Rees bombardierten, nutzten wir den Mühlenberg als Bunker“, erzählt eine Zeitzeugin. 45 Frauen, Kinder und Männer fanden unter dem Erdwall Zuflucht.

Feldmarschall Montgomery schreitet über die Baileybrücke, die über den Rhein führte.
Im Hintergrund ist das Piushaus in der Reeser Kapitelstraße zu sehen.


Drei Etagen über den Schutzsuchenden hielten zwei bis drei Soldaten der deutschen Wehrmacht Stellung. Von oben hatten sie den Rhein im Blick und konnten am 25. März 1945 beobachten, wie die Alliierten auf Höhe Rees auf einer der größten Militärbrücken des Zweiten Weltkriegs den Fluss überquerten und ihren Vormarsch nach Westfalen fortsetzten. „Es gab fast keine Gegenwehr von deutscher Seite“, sagt Paul Wissing. „Viele Deutsche waren geflohen. Statt der 60.000 bis 70.000 Soldaten, mit denen die Alliierten zwischen Emmerich und Wesel gerechnet hatten, waren dort nur 3000.“

Einer der vielen britischen Panzer, die den Rhein überquerten, hielt an der Scholten-Mühle und richtete sein Kanonenrohr auf das Bauwerk. Was dann geschah, weiß Paul Wissing aus Erzählungen eines ehemaligen Soldaten aus Großbritannien. „Ich traf den Mann, als er 83 Jahre alt war und mit seiner Familie die Route bereiste, die er als junger Soldat durch Deutschland zurückgelegt hatte.“ Damals 19 Jahre alt, gingen er und sein gleichaltriger Kamerad mit Gewehren auf die Mühle zu. Dort wurde die weiße Fahne geschwenkt, die in Wahrheit eine Herrenunterhose war.

Trotz des Friedenszeichens der Zivilisten eröffnete ein deutscher Soldat das Feuer auf die britischen Soldaten. Einer wurde getroffen und starb. Bei einem Feuergefecht bekam auch ein deutscher Soldat einen tödlichen Bauchschuss ab. „Der Engländer hätte nur ein Zeichen geben müssen, und der Panzer hätte die Mühle sofort in Stücke geschossen“, erzählt Paul Wissing. Doch trotz seiner Trauer über den toten Kameraden tat er es nicht, weil er Frauen und Kinder in der Mühle vermutete. Diese waren aber bereits durch einen Hinterausgang geflohen.

Der gefallene Engländer lag, in ein Tuch gewickelt, neben der Mühle. Er wurde später von seinen Kameraden abgeholt und auf dem Soldatenfriedhof bei Kleve beigesetzt. „Der tote deutsche Soldat wurde hinter einer Hecke begraben, später aber ebenfalls abgeholt und auf einem Friedhof beigesetzt“, erzählt die Zeitzeugin.

Amphibienfahrzeuge der Alliierten überrqueren den Rhein bei Rees.


Am 8. Mai 1945, nur 44 Tage nach der Rheinüberquerung der Alliierten bei Rees, kapitulierte das Deutsche Reich. Nun sollte auch am Niederrhein wieder Normalität einkehren. 1947 stellte die Familie Scholten beim Oberkreisdirektor und der britischen Besatzungsmacht in Wesel den Antrag, ihre Mühle wieder in Betrieb nehmen zu dürfen. „Es gab im Rheinland nach dem Krieg nur noch sechs Windmühlen, die gleich wieder einsatzfähig waren“, sagt Paul Wissing. „So bekam die Scholten-Mühle eine große Bedeutung für die gesamte Region.“

Strom und Gas waren 1947 aufgrund starker Auflagen der britischen Militärregierung schwer zu bekommen, aber die Mühle konnte durch Windkraft fast immer arbeiten. Zudem war 1947 ein besonders stürmisches Jahr mit sehr viel Wind. „So konnten täglich 150 bis 200 Zentner Korn gemahlen werden“, weiß Paul Wissing. „Die Menschen kamen mit dem Fahrrad aus dem Ruhrgebiet, um Mehl zu erhalten. Im Gegenzug brachten sie Deputatkohle aus den Bergwerken in Oberhausen und Duisburg mit.“

Das deutsche Wirtschaftswunder leitete das Ende der Windmühlen ein. Einerseits, weil das Mehl in großen Fabriken günstiger hergestellt werden konnte. Andererseits hatten sich die Ansprüche der Kunden geändert. „Nach dem Krieg wollten alle Hausfrauen weißes Weizenmehl“, sagt Paul Wissing. Das konnten die Mühlen aber nicht liefern. „Heute weiß man, dass weißes Weizenmehl keinen Nährwert hat und zu Darmerkrankungen führen kann, weshalb von vielen Bäckern wieder die Kleie in den Brotteig gemischt wird.“

Zu spät für die traditionellen Windmühlen. Auch die Scholten-Mühle wurde 1963 stillgelegt. Die Flügel drehen sich nur noch für Besucher. Zum Beispiel beim alljährlich zu Pfingstmontag stattfindenden Deutschen Mühlentag.